Thursday, February 28, 2013

A late sonnet

One more sonnet from Rilke  :)  with exquisite short (trimeter and dimeter) lines, also with the relatively rare Sicilian octave.  From his last book of poems:
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Sonette an Orpheus, I/9

Von Rainer Maria Rilke

Nur wer die Leier schon hob
auch unter Schatten,
darf das unendliche Lob
ahnend erstatten.

Nur wer mit Toten vom Mohn
aß, von dem ihren,
wird nicht der leisesten Ton
wieder verlieren.

Mag auch die Spieglung im Teich
oft uns verschwimmen:
Wisse das Bild.

Erst in dem Doppelbereich
werden die Stimmen
ewig und mild.

Wednesday, February 27, 2013

No sonnet

Okay, just to prove that Rilke didn't only write sonnets, today's poem is not a sonnet  :)  even though the rhyme scheme of the first dozen lines do agree with that of (one possible version of) a sonnet.  

This poem's about a merry-go-round, and this merry-go-round used to be in Jardin du Luxembourg back when Rilke wrote this poem in 1907.  And what's more:  Now I know what "Jardin" means:  It's French for "garden"  :)

Here's the poem---
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Das Karussell
Jardin du Luxembourg

Von Rainer Maria Rilke

Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
sich eine kleine Weile der Bestand
von bunten Pferden, alle aus dem Land,
das lange zögert, eh es untergeht.
Zwar manche sind an Wagen angespannt,
doch alle haben Mut in ihren Mienen;
ein böser roter Löwe geht mit ihnen
und dann und wann ein weißer Elefant.

Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,
nur dass er einen Sattel trägt und drüber
ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.

Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge
und hält sich mit der kleinen heißen Hand,
dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.

Und dann und wann ein weißer Elefant.

Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
schauen sie auf, irgendwohin, herüber –

Und dann und wann ein weißer Elefant.

Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
ein kleines kaum begonnenes Profil –.
Und manches Mal ein Lächeln, hergewendet,
ein seliges, das blendet und verschwendet
an dieses atemlose blinde Spiel …

Tuesday, February 26, 2013

The headless trunk is watching

Another sonnet from Rilke (and this is a famous one):
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Archaischer Torso Apollos

Von Rainer Maria Rilke

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften.  Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,

sich hält und glänzt.  Sonst könnte nicht der Bug
der Brust dich blenden und im leisen Drehen
der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
zu jener Mitte, die die Zeugung trug.

Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
unter der Schultern durchsichtigem Sturz
und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;

und bräche nicht aus allen seinen Rändern
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht.  Du musst dein Leben ändern.

Monday, February 25, 2013

Die Farbenlehre nach Rilke, Kapitel 2

A sonnet in which Rilke leans even more heavily on colours than he did yesterday when he was cavorting with the flamingoes:
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Blaue Hortensie

Von Rainer Maria Rilke

So wie das letzte Gruen in Farbentiegeln
sind diese Blaetter, trocken, stumpf und rau,
hinter den Bluetendolden, die ein Blau
nicht auf sich tragen, nur von ferne spiegeln.

Sie spiegeln es verweint und ungenau,
als wollten sie es wiederum verlieren,
und wie in alten blauen Briefpapieren
ist Gelb in ihnen, Violett und Grau;

Verwaschnes wie an einer Kinderschuerze,
Nichtmehrgetragnes, dem nichts mehr geschieht:
wie fuehlt man eines kleinen Lebens Kuerze.

Doch ploetzlich scheint das Blau sich zu verneuen
in einer von den Dolden, und man sieht
ein ruehrend Blaues sich vor Gruenem freuen.

Sunday, February 24, 2013

A different animal

Okay, more stuff that was news to me:  "Jardin des Plantes" is a garden in Paris (apparently "Jardin"'s French for "garden"), and there's a zoo in it.  Yesterday's Rilke poem had "Im Jardin des Plantes, Paris" inscribed under the title, and today's poem, too, has a similar inscription ("Jardin des Plantes, Paris"), so I looked it up.  I guess this is the sort of thing about which, because of my zero-one approach to things, I never have a clue (unless I'm trying to learn everything about Paris, I'll know nothing about Paris).

And it isn't as though Rilke went to the zoo one time and wrote several poems out of that.  "Der Panther" was written in 1903, and today's poem is a sonnet from 1908:
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Die Flamingos
Jardin des Plantes, Paris

Von Rainer Maria Rilke

In Spiegelbildern wie von Fragonard
ist doch von ihrem Weiß und ihrer Röte
nicht mehr gegeben, als dir einer böte,
wenn er von seiner Freundin sagt:  sie war

noch sanft von Schlaf.  Denn steigen sie ins Grüne
und stehn, auf rosa Stielen leicht gedreht,
beisammen, blühend, wie in einem Beet,
verführen sie verführender als Phryne

sich selber; bis sie ihres Auges Bleiche
hinhalsend bergen in der eignen Weiche,
in welcher Schwarz und Fruchtrot sich versteckt.

Auf einmal kreischt ein Neid durch die Voliere;
Sie aber haben sich erstaunt gestreckt
Und schreiten einzeln ins Imaginäre. 

Saturday, February 23, 2013

You're still getting eaten alive

No cannibalism on my part today, but I'm posting a poem about a panther  :)  This is one of Rilke's most famous poems:
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Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris

Von Rainer Maria Rilke

Sein Blick ist vom Vorübergehen der Stäbe
So müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
Und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –.  Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.

Friday, February 22, 2013

Beware of cannibal

One drawback of generally avoiding translated texts is that I miss out on a lot of cool stuff just because it's written in a language I don't speak.  It's only today that I came to know this gem by Oswald de Andrade ...  So now I'm going to post this one beautiful piece by Rilke, and then I'm going to go eat  :)  because---come to think about it---tupi, or not tupi---there's no question in my mind  :)
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Abend

Von Rainer Maria Rilke

Der Abend wechselt langsam die Gewänder,
die ihm ein Rand von alten Bäumen hält;
du schaust: und von dir scheiden sich die Länder,
ein himmelfahrendes und eins, das fällt;

und lassen dich, zu keinem ganz gehörend,
nicht ganz so dunkel wie das Haus, das schweigt,
nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend
wie das, was Stern wird jede Nacht und steigt –

und lassen dir (unsäglich zu entwirrn)
dein Leben bang und riesenhaft und reifend,
so dass es, bald begrenzt und bald begreifend,
abwechselnd Stein in dir wird und Gestirn.