Here are English translations of a dozen pieces by Borchert, and here is a thirteenth piece in the original German:
___________________________________
Hinter
den Fenstern ist Weihnachten
Von
Wolfgang Borchert
Im
Bunker hält man das nicht aus. Und als
dein Gesicht von dem Auto hellgemacht wurde, sah ich, daß du blaue Schatten um
die Augen hast. Vielleicht ist das eine,
bei der man’s leichter hat, dachte ich.
Deswegen laufe ich hinter dir her.
Wir beide sind ganz allein in der
Stadt. Hinter den Fenstern, da ist
Weihnachten. Manchmal sieht man hinter
den Gardinen die Kerzen vom Tannenbaum.
Im Bunker könnte man das jetzt nicht aushalten, wenn sie singen. Du hast blaue Schatten unter den Augen. Vielleicht bist du eine von denen, die abends
unterwegs sind. Die Schatten hast du von
der Liebe. Aber jetzt sind sie ganz
anders, jetzt singen sie Weihnachtslieder und schämen sich, weil sie weinen müssen. Ich bin weggegangen.
Ob du ein Zimmer hast? Und einen Tannenbaum? Mein Gott, wenn du ein Zimmer hättest? Merkst du, daß ich hinter dir hergehe? Wir sind ganz allein in der Stadt. Und die Laternen stehen Posten. Die Posten haben Zigaretten, weil heute Weihnachten
ist, und die glimmen in Fenstern: Hörst
du, hinter den Fenstern machen sie Weihnachten.
Sie sitzen auf weichen Stühlen und essen Bratkartoffeln. Vielleicht haben sie sogar Grünkohl. Aber dann sind sie reich. Aber sie haben ja auch Gardinen, dann haben
sie auch Grünkohl. Wer Gardinen hat, ist
reich. Nur wir beide sind draußen. Du hast blaue Schatten an den Augen, das hab
ich gesehen, als das Auto vorbeifuhr.
Ich möchte, daß du die Schatten von der Liebe hast. Ich weiß sonst nicht, wohin. Im Bunker singen sie. Das hält man nicht aus.
Immer wenn eine Laterne kommt, seh
ich deine Beine. Da kann man schon
allerhand dran sehen, wie die Beine sind.
Die andern reden auch immer von den Beinen bei ihren Weibern. Sie sagen immer Weiber. Wenn sie abends nach Hause kommen, reden alle
von ihren Weibern. Weiber, sagen sie
immer. Immer bloß so Weiber. Die ganze Bude ist dann voll davon, wenn sie
von den Beinen reden, von ihrer Brust und der rosa Unterwäsche.
Merkst du nicht, daß ich immer
hinter dir hergehe? Immer wenn eine
Laterne kommt, hältst du den Kopf weg.
Ich bin dir wohl zu klein, wie?
Ja, mit einmal ist man wieder zu klein.
Für den Krieg war man auch nicht zu klein. Nur für so was, was schön ist. Du brauchst gar nicht so zu rennen, ich lauf
dir doch nach. Wenn ich denke, was du
noch alles hast außer den Beinen, dann kann man sich schon allerhand
ausdenken. Die andern haben das jeden
Abend. Unter den Laternen sind deine
Knie ganz weiß. Immer wenn ich dich bei
einer Laterne überhole, hältst du dein Gesicht weg.
Im Vorbeigehen kann ich dich
riechen. Aber du merkst gar nicht, daß
ich was von dir will. So schnell wirst
du mich nicht los. Ich weiß sowieso
nicht, wohin. Bei solchem Nebelwetter
ist es im Bunker immer naßkalt. Kann
doch sein, daß du ein Zimmer hast. Bloß
nicht bei deinen Eltern. Bei
Freunden. Dann kannst du mich doch
mitnehmen. Dann sitzen wir nebeneinander
auf deinem Bett. Und der Nebel und die
Kälte stehen vor der Tür. Und dann sind
deine hellen Knie ganz dicht neben mir.
Und du hast einen Tannenbaum. Und
dann teilen wir uns ein Stück Brot. Du
hast doch bestimmt Brot. Die andern
erzählen immer, daß sie von ihren Weibern was zu essen kriegen. Ihr eßt ja nicht soviel wie wir. Wir haben meistens Hunger. Ich auch, du.
Aber du hast vielleicht was. Wenn
du bei deinen Eltern wohnst, das ist natürlich Mist. Dann müssen wir unten im Treppenhaus
bleiben. Das geht auch. Die andern bleiben auch oft mit ihren Weibern
im Treppenhaus. Aber Weihnachten? Mein Gott!
Im Treppenhaus.
Du riechst gut. Ich gehe ganz dicht hinter dir und kann dich
riechen. Mein Gott, du riechst so nach
allerhand. Da kann man sich allerhand
bei vorstellen. Wenn das bei uns im
Bunker man mal so riechen würde. Aber da
riecht es immer nach Tabak und Leder und nassen Klamotten. Du riechst ganz anders, so was hab ich noch
nie gerochen. Bei der nächsten Laterne
rede ich dich an. Die Straße ist gerade
ganz leer. Aber wenn ich dich anrede,
ist vielleicht alles vorbei. Du antwortest
vielleicht gar nicht. Oder du lachst
mich aus, weil ich dir zu jung bin.
Älter als zwanzig bist du aber auch noch nicht.
Da kommt die Laterne. Deine Knie sind ganz hell im Dunkeln. Die Laterne kommt. Jetzt muß ich gleich was sagen. Oder noch nicht? Vielleicht ist dann alles aus. Die andern können das alle. Die haben alle ihre Weiber. Da ist die Laterne. Wenn ich jetzt rede, ist vielleicht alles
aus. Die Laterne. Nein, ich warte noch ein paar Laternen. Noch nicht.
Der Nebel ist gut. Du siehst
wenigstens nicht, daß ich noch nicht so alt bin. Aber ich kenn welche, die haben schon eine,
und sind auch nicht älter. Ja, jetzt ist
man mit einmal wieder zu klein. Fürs
Soldatsein war man nicht zu klein. Und
jetzt läuft man rum. Im Nebel nachts. Und jeden Abend reden die andern von ihren
Weibern. Davon kann man nachher nicht
einschlafen. Die Luft im Bunker ist dann
ganz voll davon. Von ihren Weibern. Und von dem nassen Nebel nachts. Draußen.
Aber du, du riechst gut. Deine
Knie sind ganz hell im Dunkeln. Sie
müssen ganz warm sein, deine Knie. Wenn
die nächste Laterne kommt, rede ich dich an.
Vielleicht wird es was. Mensch,
du riechst so. Das hab ich noch nie
gerochen. Kuck mal, hinter den Gardinen
haben sie Weihnachten. Vielleicht auch
Grünkohl. Nur wir beide sind
draußen. Wir sind ganz allein in der
Stadt. –
No comments:
Post a Comment